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Und natürlich steht dieser Platz stets im öffentlichen Fokus. Der planerischen Freiheit bei einer Umgestaltung sind schon aufgrund der räumlichen Gegebenheiten und der Anforderungen Grenzen gesetzt. Die Ausgangslage: Die erhöhte Stickstoffdioxid-Belastung führte im Mai 2017 zu einem Beschluss des Stadtentwicklungsausschusses, den motorisierten Individualverkehr auf dem Jahnplatz zu reduzieren. Das Startsignal für eine künftige Umgestaltung war gefallen. Seit Anfang 2018 ist auch Annette Gieselmann, Fachbereichsleiterin Stadt, Straße, Verkehr bei Bockermann Fritze IngenieurConsult mit dem Herzen der Stadt befasst. „Die Anmeldung zur Förderung lag schon vor, als uns die Stadt Bielefeld als Ideenbringer ansprach“, erinnert sich die Diplom-Ingenieurin, die sich mit ihrem Team sofort ans Werk machte, um eine Konzeptstudie zu entwickeln, die als „Verkehrsversuch“ ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangte. „Wir haben erst mit einer Pinsellösung gearbeitet“, berichtet Dirk Vahrson. „Wegen der zu hohen Emissionswerte drohte ein Fahrverbot. Deshalb musste der Verkehr auf dem Jahnplatz unbedingt gedrosselt werden. Aus zwei Fahrstreifen wurde ein einstreifiger Fahrstreifen je Richtung.“ Die Spuren wurden zunächst – da es sich um einen Versuch handelte – nur aufgemalt. Parallel dazu arbeitete das Team von Bockermann Fritze IngenieurConsult schon intensiv an einer nachhaltigen und gestalterisch ansprechenden Lösung.
25.000 Autos querten täglich den Jahnplatz. Der Anspruch war es, diese Zahl zu halbieren, dem ÖPNV und dem Radverkehr mehr Raum zu geben und insgesamt den Verkehr optimal in den Spuren über den zentralen Platz der Stadt zu lenken. „Wir haben uns angeschaut, wie andere Städte in Deutschland und in Europa mit dem Radverkehr umgehen“, berichtet Annette Gieselmann. „Da sind wir recht schnell auf Kopenhagen gekommen. Wir haben uns früh mit der Firma Kortemeier Brokmann Landschaftsarchitekten für die Freianlagenplanung in Verbindung gesetzt und sind gemeinsam mit fünf Planern dorthin gefahren, um uns direkt vor Ort einen Eindruck zu verschaffen.“ Von den Radwegen und der Verkehrsführung in der dänischen Hauptstadt ist die Prokuristin, die übrigens lange in der Fahrradstadt Münster gelebt hat, begeistert. „Eigentlich wollten wir das Radfahren nur einen Tag ausprobieren, aber weil man damit so gut durch die Stadt kam, haben wir die Räder gleich für die kompletten drei Tage gemietet und sind damit auch zu unseren Meetings und Gesprächen mit Ingenieuren gefahren.“
In Kopenhagen schwingen sich etwa 60 Prozent der Menschen auf den Fahrradsattel. In Bielefeld sind es nur 18 Prozent, während 51 Prozent mit dem eigenen Pkw unterwegs sind. Die Stadt muss attraktiver für Radfahrer werden, wenn man den motorisierten Individualverkehr reduzieren will. Dazu gehören sichere und komfortable Radwege. Außerdem ist es wichtig, auch andere Formen der Mobilität zu berücksichtigen, wie sie die Stadtwerke-Tochter moBiel mit E-Rollern und E-Scootern anbietet.
Bereits im April 2018 konnten die Planer von Bockermann Fritze erste Vorentwürfe des „Kopenhagener Modells“ vorlegen. Die anfängliche Kritik, dass die Fußgänger, um zu den Bushaltestellen zu gelangen, die Radspur queren müssen, konnte entkräftet werden. „Bielefeld schafft das“, ist Annette Gieselmann überzeugt. „Wir haben in Kopenhagen etwa eine halbe Stunde gebraucht, um zu verstehen, wie die Verkehrsführung funktioniert. Es war sehr hilfreich, dass die Bezirksregierung in Detmold unser Konzept gut unterstützt hat. So konnte das Modell überzeugen."
„Interessen erkennen, bündeln, diskutieren und einen guten Kompromiss für alle zu erzielen – das ist unser Ziel“, betont auch Dirk Vahrson. Und dass es vieler Abstimmungsrunden bedurfte, bis ein tragfähiges Konzept für die Umgestaltung des Jahnplatzes Bestand hatte, wird deutlich, wenn man einen Blick auf die beteiligten Akteure wirft. An der Planung beteiligt waren u. a. die Fachämter der Stadt Bielefeld, das Amt für Verkehr und das Umweltamt, die Feuerwehr, moBiel, die Planungsbüros Bockermann Fritze, Kortemeier Brokmann und Wannenmacher Möller, Polizei, politische Arbeitsgruppen, die Ratsfraktionen, Interessenvertreter der IHK, des Einzelhandelsverbands, der Handwerkskammer, der Kaufmannschaft Altstadt, der DEHOGA, Vertreter von Menschen mit Behinderung oder aus dem Seniorenrat.
„Das war eine sehr intensive Zeit“, so Dirk Vahrson. „Wir hatten fast täglich Besprechungen mit Interessenvertretungen, haben unsere Konzepte der Politik vorgetragen und formale Beschlüsse eingeholt.“ Das Team von Bockermann Fritze IngenieurConsult erstellte eine 3D-Verkehrssimulation, um den künftigen Modal Split – damit ist gemeint mit welchen Verkehrsmittel und auf welcher Spur die Verkehrsteilnehmer künftig den Jahnplatz queren - zu visualisieren. Anschaulich wird das Verkehrsaufkommen samt 14 Bushaltestellen, Lichtsignalanlagen und vielem mehr dargestellt. „Genau so wie im Video präsentiert, wird die Umgestaltung des Jahnplatzes allerdings nicht umgesetzt“, berichtet Annette Gieselmann.
Pläne mussten immer wieder modifiziert werden. Konfliktpunkte, an denen beispielsweise Radfahrer und Fußgänger aufeinandertreffen, neu gedacht werden. „Wir hatten eigentlich eine sehr gute Lösung für die Fahrradfahrer im Sinn, die völlig ungehindert, das heißt, ohne an Ampeln abbremsen zu müssen, und ohne Steigungen und Rampen über den Platz fahren sollten. Für die grüne Welle für Fahrradfahrer gab es leider keine Mehrheit.“ Am Platzmangel scheiterte die Idee der noch breiteren Radspuren, auf denen auch Lastenräder hätten fahren können.
Auch die Idee, die Radfahrer auf eine andere Ebene mittels einer Brückenkonstruktion über den Platz zu heben, erwies sich als nicht durchführbar, wie Dirk Vahrson berichtet. Durchsetzen konnte sich auch das Fahrrad-Parkhaus unter dem Jahnplatz nicht, was sowohl Annette Gieselmann als auch Dirk Vahrson sehr bedauern. „Das wäre der ganz große Wurf gewesen“, so die Diplom-Ingenieurin. „Die Radfahrer hätten über eine Rampe in das Parkhaus fahren und ihr Rad sicher abstellen oder ihr E-Bike gleich laden können. Eine Fahrradwerkstatt hätte nötige Reparaturen vorgenommen. Außerdem gab es innovative Pläne für eine Begrünung von unten heraus.“ Das in die Jahre gekommene Forum Jahnplatz hätte so einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden können. „Und dafür hätte es sogar auch Fördergelder gegeben“, betont Dirk Vahrson.